Wenn man in der Adventszeit auf der Suche nach diesem unbestimmten Kindheitsgefühl der Vorfreude und Erwartung ist, mag kaum ein Ort so gut geeignet sein, wie die nördlich des Harzes gelegene Stadt Quedlinburg. Wie im Märchen ist hier alles auf einer überschaubaren Fläche vorhanden: ein Burgberg mit einer ehrwürdigen Stiftskirche und einem Schloss, das ursprünglich Königspfalz war, später standesgemäßer Residenzort der Stiftsdamen und sich heute als Museum präsentiert.
Läuft man den Sandsteinfelsen hinunter, gelangt man durch verwinkelte Gassen und Wege, gesäumt von verzierten, stolzen und liebevoll sanierten Fachwerkhäusern aus nicht weniger als acht Jahrhunderten auf einen von Rathaus und Stadtpfarrkirche gezierten Marktplatz. Die Roland-Statue am Rathaus vermittelt wehrhaft und malerisch zugleich eine Ahnung davon, was es bedeutet haben muss, wenn sich die ehrgeizigen und tüchtigen Handelsherren und Gewandschneider gegenüber den adeligen Stiftsdamen behaupten wollten. Schließlich trat die Stadt der Hanse und dem Niedersächsischen Städtebund bei. Letztlich konnten sie ihre Macht nicht behaupten, mussten sich den Herrinnen vom Burgberg unterwerfen, die den Roland zerschlagen ließen. Erst im 19. Jahrhundert – als die mittelalterlichen Zwistigkeiten durch die Herausforderung der Moderne verdrängt wurden – kehrte er an prominenter Stelle zurück.
Lebenswirklichkeiten, die fern und beim Spaziergang doch zugleich so nah herantreten. Wie ein Spiegel in dem wir unsere Vorfahren erkennen – oder doch all die bekannten Gesichter aus unserer Zeit, aber in Kostümen der Vergangenheit? Als ob diese Straßen und Häuser im Lichterschein der Kerzen und Sterne zu erzählen beginnen.
Kaum verwunderlich, dass diese Stadt auf die Liste des UNESCO Welterbes aufgenommen wurde und als eines der größten Flächendenkmale Deutschlands gilt. Ihren Charme und ihre Schönheit entfaltet sie grade jetzt, wenn die Nacht früh hereinbricht und die Menschen zusammenkommen, sich erinnern, lachen, essen und trinken – ganz wie vor Jahrhunderten. Denn diese Plätze und diese Höfe sind mit ihren Dimensionen genau auf unsere Größe und unsere Bedürfnisse und Gewohnheiten zugeschnitten. Da wirkt nichts konstruiert oder ambitioniert, ganz im Gegenteil: wie im Mittelalter laden die Höfe zum Verweilen und Genießen ein. Lebenslust und Daseinsfreude, weit entfernt von den Mühen des Alltags, von Zwistigkeiten und dem Grauen der Welt. Ein frommer Wunsch und zugleich eine Lebensbedingung heute wie früher.
Gastronomen, Touristiker, enthusiastische Hausbesitzer und Ladeninhaber empfangen uns, reden, schwärmen geradezu und auf einmal erstrahlen nicht nur die Warentische und Auslagen im Lichterglanz, sondern Fenster, Wände und Mauern voller Geschichten und Erinnerungen werden lebendig und vermitteln farbenfroh irgendwie etwas von dem, was es heißt, sich hier niederzulassen und unter Anstrengungen und finanziellen Wagnissen das Alte zu bewahren und es weiterzugeben. Schon werden Lebensgeschichten ausgetauscht, baufachliche Fragen erörtert und Tipps gegeben, dann lachen wir über unsere Missgeschicke und sind auch ein wenig stolz, ohne Eitelkeit und Geziere und dankbar für so viel Glück. Na wenn jetzt nicht Weihnachten kommen kann.
Über zwanzig der schönsten Innenhöfe Quedlinburgs, ansonsten verschlossen und verborgen, öffnen sich. Auf historischem Pflaster zeigen sich Raritäten und kleine Kostbarkeiten, die allein für diese Zeit im Jahr gesucht, gefunden und produziert wurden. Wenn sich Frau Advent und ein Engel persönlich die Ehre geben, verwandeln sich Augenblicke in ein Stückchen Ewigkeit, nicht nur in Kinderaugen. Schade, nein gut so, dass der „Advent in den Höfen“ nur so selten zu erleben ist. In diesem Jahr nun letztmalig am kommenden Wochenende 16./17.12.2017, von 11:00 bis 19:00 Uhr.
Mit Begeisterung habe ich den Beitrag gelesen. Am ersten Advent haben meine Frau und ich diese
Stadt besucht. Es war zauberhaft. Wir haben uns vorgenommen, im nächsten Jahr wieder
hinzufahren.