Richtig romantisch ist es in Neuruppin am Seeufer, in der Nähe der alten Klosterkirche. In der Siechenstraße könnte sofort ein Mittelalter-Film gedreht werden.
Wenige Schritte entfernt, wechselt die Kulisse abrupt: Jetzt präsentiert sich dem Spazierenden eine preußische Musterstadt, ehemals Garnison.
Trotzdem bleibt die nach dem großen Stadtbrand von 1787 neu angelegte Stadt bei jedem Besuch irgendwie rätselhaft. Große, quadratische Plätze wurden zum Exerzieren angelegt. Das Ganze sei wie eine Jacke, die zu weit geschnitten ist, hat es mal ein kluger Beobachter formuliert. Das war einmal modern und entsprach den Ideen des Aufklärungszeitalters: Licht und Luft anstatt mittelalterlicher Enge und Schmutz in überfüllten Straßen. Die Denkmalpfleger würdigen diese Leistung als bedeutende Schöpfung des historischen Städtebaus.
Aber wie füllt man so viele Plätze und breite Straßen? Wer lebt hier, wo Berlin nicht weit ist und mindestens genauso schöne Uferpromenaden offeriert? Architektonisch ist der Spaziergang tatsächlich interessant, was fehlt, ist eine gewisse Atmosphäre. So steht der recht jugendlich erscheinende Architekt Karl Friedrich Schinkel meist einsam auf dem Platz hinter dem Neubau der Marienkirche. Er war ein geborener Neuruppiner.
Den nächstfolgenden Platz vor dem Alten Gymnasium belebt an Markttagen mehr Trubel. Doch bereits am späten Nachmittag wird es einsam um das Denkmal des Preußenkönigs Wilhelm II., er war der Förderer des Wiederaufbaus.
Der dritte große Platz vermittelt regelrecht urbane Tristesse angesichts der gähnenden Leere. Am einstigen Stadtrand noch ein Höhepunkt: Das Fontane-Denkmal von 1907. Elegant sitzt der Genannte, ein Bein über das andere geschlagen, im Schatten großer Bäume. Irgendwie im Abseits. War den bürgerlichen Honoratioren dieser Schriftsteller nicht pompös genug oder wollten sie die Weite der Stadtlandschaften nicht überfrachten? Rhetorische Überlegungen. Die Zeitgeschichte ist einfach über die ehemals markante Position im Städtebild hinweg gegangen. Im nächsten Jahr werden sich sicher viele Literaturfans vor diesem Erinnerungsort einfinden: die Stadt feiert den 200. Geburtstag ihres großen Dichters.