Am 24. Oktober 2018 jährte sich der Todestag von Ernst Barlach zum 80. Mal. Im Güstrower Dom kann heute ein Werk des Künstlers betrachtet werden, das eine bewegende Geschichte hat.
Güstrow 1926/1927
Die Domgemeinde will vor dem Dom einen Findling als Gedenkstein für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges errichten. Sie bitten 1926 den ortsansässigen Bildhauer und Dramatiker Ernst Barlach um Rat. Einen schlichten Granitstein vor dieses Kunstwerk von Dom zu setzen, sei nicht zu empfehlen. Selbst Armut entschuldige dergleichen nicht, mahnt der Künstler, denn Armut verewige man nicht. Es müsse einem erst mal etwas einfallen, sinniert er und vollbringt ein Meisterwerk, das an Frieden gemahnt und nicht den Krieg verherrlicht. Ohne Verdienst, nur für den Ersatz der Materialkosten schafft er eine Bronzefigur. Sie soll ganz in sich geschlossen sein und das Höchste an Konzentration darstellen, hinausführen in eine andere Welt, wie der Künstler andeutet.
Der „Schwebende“ ehrt die Toten und vermittelt an viele Betrachter die Vorstellung eines Engels, wodurch gleichsam ein Anschluss zur christlichen Ikonographie entsteht. Barlach selbst sprach wiederholt vom „Engel“. Die Zeitgenossen streiten kontrovers und heftig über die sinnstiftenden Aussagen des Werkes, das sich der konventionellen Sprache der Kriegerdenkmäler verweigert. Es zeigt keine Helden in feldgrauer Uniform, sondern erinnert an den Verlust, die Trauer und die Hilflosigkeit.
Am 29. Mai 1927 feierte die Gemeinde mit einem Gottesdienst die Einweihung des Denkmals. Erst 1929 galt für Barlach das Werk als vollendet, nachdem im nördlichen Seitenschiff die Glasfenster nach seinen Vorstellungen entsprechend angebracht waren. Schreckliche Jahre folgten, bald nach dem 30. Januar 1933 setzte die Hetze gegen Barlach und sein Werk ein: Barlachs Arbeiten werden aus Museen und von öffentlichen Plätzen entfernt, viele zerstört und einige in der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt. Der Künstler erhält Ausstellungsverbot. Diffamierungen und Drohungen folgen, schließlich wird das Mahnmal im August 1937 aus dem Dom entfernt. Barlach stirbt am 24. Oktober 1938 in der St. Georg-Klinik in Rostock. Seinem Wunsch gemäß wird er in der Stadt seiner Kindheit, der Vaterstadt Ratzeburg, beigesetzt.
Rekonstruktion: Im April 1941 verliert sich die Spur des Werkes. Es ist anzunehmen, dass der „Schwebende“ eingeschmolzen wurde. Mutige fertigten einen Zweitguss an und versteckten ihn in der Lüneburger Heide. Im Jahre 1952 findet dieses Exemplar seinen Platz in der Nordkapelle der wiederaufgebauten Antoniterkirche in Köln. Das Kölner Kunstwerk dient als Vorlage für einen dritten Guss, der 1953 im Dom zu Güstrow im südlichen Seitenschiff Aufstellung findet. Dieser „Schwebende“ kehrt 1985 an seinen von Ernst Barlach vorgesehenen Platz im nördlichen Seitenschiff zurück.