Kaum eine Zugfahrt vergeht, wo nicht hier und da ins Kartenspiel vertiefte Menschen zu beobachten sind. Oder zumindest einzelne, die auf ihrem Smartphone oder Notebook diverse Karten legen und verschieben. Ja, und da es Sommer ist, werden so manche Urlauber mit und ohne Kinder Karten eingepackt haben, um bei regnerischem Wetter oder langer Überfahrt den passsenden Zeitvertreib bereitzuhalten.
Dass die Freude am Kartenspiel so verbreitet ist und sich trotz hinreichender Konkurrenz durch elektronische Medien nicht verliert, mag auch an der Faszination der handlichen bunten Karten liegen. Wie Jude Talbot in seinem liebevoll arrangierten Buch „Zahl Farbe Trumpf. Die Geschichte der Spielkarten“ zeigt, begann der Siegeszug der Spielkarten offenbar recht schnell, nachdem diese in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhundert erstmals in Europa auftauchten. Erdacht und gefertigt wurden die ersten Spielkarten wohl im China des 13. Jahrhundert. Von dort führte ihr Weg über das Mogulreich in den Westen, wo sich in Norditalien und Katalonien erste Spuren jener symbolreichen Karten nachweisen lassen. Ihre rasche Verbreitung in den meisten europäischen Regionen kann als deutliches Indiz für ihre Beliebtheit verstanden werden.
So verbreitet und beliebt Spielkarten waren und sind, so rätselhaft bleiben Figuren, Symbole oder Farben. Der eine erkannte in den Kartenreihen die feudale Gesellschaftsordnung, während ein anderer verborgene Botschaften zu erkennen meinte. Wofür stehen Bube, Dame, König, As nun? Sind die beständig oder wandelbar über die Zeitläufte hinweg zu deuten? Der Autor Jude Talbot, Bibliothekar und Wissenschaftler, der von 2009 bis 2017 in der Pariser Nationalbibliothek in der Abteilung Grafik und Fotografie vor allem für die Katalogisierung von Spielkarten verantwortlich war, ließ sich vom Zauber der Spielkarten inspirieren. Die Beschäftigung mit diesem facettenreichen Thema entwickelte sich zu seinem Spezialgebiet, das er der neugierigen Leserschaft auf 256 Seiten und in vier Kapiteln geordnet nach den vier Farben des Spiels präsentiert.
Seite für Seite, Blatt für Blatt öffnet sich in der Tat mit diesem Buch, das sich als Kontinente überschreitende Kulturgeschichte erweist, die Welt des Spielens, der ambitionierten Gestaltung und der geheimnisvollen Farbensprache. Der Autor versteht es, sein spezifisches Wissen unterhaltsam und spannend zu vermitteln, wobei er Gestalter, Produzenten und Spieler porträtiert und der breite Fundus aus den Sammlungen der französischen Nationalbibliothek seine Texte in reicher Form illustriert. So wird dieses anregende Werk zu einem Augenschmaus, der nicht allein für passionierte Kartenspieler Wissenswertes und Schönes in harmonischer Ergänzung bietet.
Jude Talbot
Anke Wagner-Wolff (Übers.)
Zahl Farbe Trumpf
Die Geschichte der Spielkarten
Gerstenberg Verlag
256 Seiten, 19,5 x 28,5 cm
ISBN 978-3-8369-2162-6