Als das Wünschen noch geholfen hat – da haben Mädchen und Frauen tapfer das Schicksal in die eigenen Hände genommen und wurden dafür mit dem Prinzen belohnt. Nun gut, zwar nicht in jedem Falle, aber auffallend oft. Zu dieser Winterzeit, wenn die Nächte lang sind und die Fantasie lebhaft ist, öffnen Märchen besonders gut den Weg in die Welt des Träumens von einer besseren Welt. Dass dabei jene Mädchen und Frauen durch ihre Schönheit und Klugheit, ihren Mut und ihre Stärke zeigen, wie man Unerwartetes wahr werden lassen könne, präsentiert Felicitas Hoppe in ihrer Zusammenstellung unter dem Titel „Brüder Grimm: Grimms Märchen für Heldinnen von heute und morgen“. Die in Hameln geborene und in Berlin lebende Schriftstellerin wurde für ihr Werk mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, etwa 2012 mit dem Georg-Büchner-Preis, und 2019 verlieh ihr die Universität Kassel die Brüder-Grimm-Poetikprofessur.
Felicitas Hoppe hat, wie sie in ihrer Einleitung Wie wünscht man richtig? berichtet, schon seit ihrer Kindheit mit wachsender Freude Grimms Märchen gehört und gelesen. Nun richtet sie ihren Blick sehr genau auf die Heldinnen der Geschichten, die jedem Zuhörer gleich durch ihre Schönheit auffallen. Als ob diese, das nach außen sichtbare Zeichen von Mut, Klugheit und Stärke sei. So sind die jüngsten Töchter oder die lieblichen Schwestern stets am schönsten und zugleich jene, die in die Geschichte einzugreifen vermögen. Erst nachdem sie furchtlos handeln, verändert sich der Lauf der Dinge.
Felicitas Hoppe hat die Märchen entsprechend der charakteristischen Eigenschaften ihrer Heldinnen bzw. der die Handlung bestimmenden Vorgänge geordnet: Schönheit „Lass dein Haar herunter!“; Klugheit „Ach, hätt’ ich doch meiner Tochter gehört!“; Mut „Der Wind, der Wind, das himmlische Kind!“; Handwerk „Heute back ich, morgen brau ich!“ und Verwandlung „Bäumchen schüttel dich!“. Auf diese Weise wird sehr deutlich, inwieweit es in der Tat die heranwachsenden Mädchen sind, die aktiv gestalten und sich keineswegs durch Zauber und Verwünschungen beirren lassen. Das verwundert doch sehr, wenn man etwa die Märchen als Zeugnisse einer längst untergegangenen Welt der Hütten und Paläste, der dunklen Wälder und tiefen Armut versteht. Was für Sehnsüchte und Ideale, Erfahrungen und Erinnerungen verstecken sich da in den Märchen? Es ist inspirierend, die hier von Felicitas Hoppe zusammengestellten Märchen, aus dieser Perspektive neu zu lesen. Ob als Kind oder Erwachsener, schließlich waren sie ja einst auch für Erwachsene bestimmt.
Ganz farbenfroh werden die Texte von den Weiblichkeitsentwürfen der Malerin und Grafikerin Rosa Loy begleitet, einer Künstlerin, die der Neuen Leipziger Schule zugeordnet wird. Dieses Lesevergnügen in der Stille und Dunkelheit der Winternächte vermag einen Weg in die Vergangenheit zu weisen.
Brüder Grimm: Grimms Märchen für Heldinnen von heute und morgen
Reclam Verlag
Ausw. und Essay: Hoppe, Felicitas
Bilder: Loy, Rosa
Geb., Lesebändchen. Format 15 x 21,5 cm
190 S. 5 farb. Ill.
ISBN: 978-3-15-011213-7