Wer Gärten liebt, geht auf Reisen – entweder im Kopf während man auf der Terrasse oder im Sessel sitzt oder ganz real, indem man aufbricht, um anderer Menschen Gärten zu entdecken und sich inspirieren zu lassen. Der kürzlich veröffentlichte Band von Barbara Segall mit dem Titel „Die geheimen Gärten von Sussex und Kent“ ist eine Einladung der ersteren Art. Schließlich meinte schon die berühmte englische Gärtnerin und Gartenbuchautorin Theresa Earle es sei „eine natürliche Konsequenz, dass diejenigen, die die tatsächliche Frucht eines Gartens nicht schmecken können, sich umso mehr daran erfreuen, über einen Garten zu lesen.”
Lesend und durch die charmanten Fotografien von Clive Boursnell nahezu in die Atmosphäre eintauchend bieten sich einem Einblicke in zwanzig Gartenträume. Es sind in der Tat einzigartig schöne Gärten ausgewählt worden. Über den Gartenzaun hinweg öffnet sich gleichzeitig der Blick in „Englands Garten“, jenen englischen Grafschaften Sussex, Kent und Surrey, sodass die „geheimen Gärten“ umgeben sind von einer wellenartig geformten Landschaft voller Felder, Wälder, Wiesen und malerisch dahingleitender Flüsse.
Die Auswahl der Gärten umfasst dabei Anlagen mit historischer Bedeutung wie Arundel Castle, Gravetye Manor, Munstead Wood oder Long Barn. Die drei letztgenannten zählen zweifellos zu den interessantesten grünen Kunstwerken aus der Zeit des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. William Robinson war einst der Besitzer von Gravetye Manor. Dieser junge Gärtner aus Irland revolutionierte einst englische Gartenkultur mit ihren exotischen Blumenbouquets und Teppichbeeten. Robinson wurde zu einem Pionier der naturnahen Gartengestaltung und präsentierte einem erstaunten Publikum 1870 mit dem Buch The Wild Garden seine Ideen, wie man aus heimischen Pflanzen und in England eingeführten winterharten Stauden zauberhafte Gärten erschaffen könne. 1871 gründete er das Magazin The Garden, das rasch zur meistgelesenen britischen Gartenzeitschrift wurde. Als Siebenundvierzigjähriger kaufte er sich in West Sussex das Anwesen Gravetye Manor mit einem Elisabethanischen Haus und 1000 Acres Land (rund 400 Hektar).
Mindestens genauso spannend ist der Lesespaziergang durch Munstead Wood, dem einstigen Garten der berühmten Garten-Lady Gertrude Jekyll. Für viele war und ist Munstead Wood das gelungene Gartenkunstwerk dieser mit Pflanzen auf der Erde malenden Gartenkünstlerin. Nach ihrem Tod war es der Familie nicht möglich, das Anwesen zu halten, es wurde schließlich verkauft und in mehrere Grundstücke aufgeteilt. Erst vor kurzem konnte der National Trust nach vielen Jahrzehnten in Privatbesitz Munstead Wood samt umliegendem Garten kaufen. Es werden bereits die ersten Pläne erstellt und Vorbereitungen getroffen, um das Haus und den Garten der berühmten Gertrude Jekyll, die im 20. Jahrhundert zu einer Institution in Fragen der Gartengestaltung, einer »Königin der Blumenrabatten«, geworden war, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Wie fabelhaft, dass das Buch auch einen Blick in den einstigen Garten von Vita Sackville-West und ihrem Mann Harold Nicolson bietet. Das Anwesen Long Barn, nahe der Stadt Sevenoaks, war das erste Anwesen, das die Familie bewohnte. Hier probierten sich beide gärtnerisch aus, bevor sie ihren großen Wurf mit dem heute so berühmten Garten von Sissinghurst gestalteten. Übrigens gab für Vita Sackville-West einst den Ausschlag, sich hier niederzulassen, dass das Anwesen nah zu Knole House lag, wo sie geboren worden und bis zum Lebensende tief verwurzelt war.
Gegenüber diesen einstigen Juwelen der Gartenkunst, die bis in unsere Tage Charme und Zauber versprühen, gibt es weitere wahre Schätze mit paradiesischen Sitzplätzen, zauberhaften Pflanzen und individuellen Lebensgeschichten, die in Grün geschrieben sind, zu durchstreifen. Da finden sich verspielte Sehnsuchtsorte neben streng formalen Gärten, botanische Kostbarkeiten neben eigenwilligen Kreationen mit Höhen und Ausblicken. Gerade diese Vielfalt, diese Mischung von individuellen Ausdrucksformen künstlerischer Begabungen und harter gärtnerischer Arbeit bereiten Freude.
Ein Dank gebührt in der Tat allen, die ihre ganz persönlichen Oasen und Rückzugsorte für die wachen Blicke anderer öffnen. Sie schüren die Sehnsucht nach dem Paradies und spornen zugleich zur Arbeit im eigenen, wenn auch noch so kleinen Gartenstück an, ganz im Geiste von Gertrude Jekyll, die meinte: „Die Größe eines Gartens hat im Grunde nichts mit seiner Schönheit zu tun. Es hängt vielmehr vom Herzen, vom Verstand und dem ernsthaften Bemühen des Besitzers ab, ob sein Garten reizvoll oder langweilig ist.“ Barbara Segalls Gartenreise zeigt, wie wahr diese Worte sind. Ihr Buch birgt einen Schatz grüner Kunstwerke, die zum Entdecken einladen.
Barbara Segall
Die geheimen Gärten von Sussex und Kent
Ein exklusiver Rundgang
übersetzt von Anke Albrecht
Fotografien von Clive Boursnell
144 Seiten
ISBN 978-3-8369-2195-4
Gerstenberg Verlag