Was ziehe ich heute an? Möchte ich auffallen oder unsichtbar sein, provozieren oder erschrecken, schmeicheln oder kaschieren? Fragen wie diese stellen und stellten sich Menschen wohl seit es Kleidung und insbesondere Mode gibt – und sie ökonomisch möglich ist. Schließlich ist Kleidung mehr als Stoffe, Schnitte, Accessoires. Ein Stil ist eine Manifestation des Individuums gegenüber der Welt. Dass ist es zweifellos, was das Interesse an dem, was den Körper umhüllt, faszinierend macht. Wobei es keine Rolle spielt, ob frau/man modisch sein möchte oder nicht. Was wer wie trägt, erzählt Bände für diejenigen, die zu lesen vermögen.
Natürlich war und ist gerade für Künstlerinnen ihre Kleidung eine starke Botschaft an die Welt. Ursel Braun richtet in ihrem 144 Seiten umfassenden Buch „Unangepasst. Künstlerinnen und ihre Kleider“ einen detaillierten Blick auf die Kleidung von sieben außergewöhnlichen Künstlerinnen. Sie erzählt die Biografien von Josephine Baker, Helen Hessel, Georgia O’Keefe, Frieda Kahlo, Louise Nevelson, Tamara de Lempicka und Sophie Taeuber-Art anhand ihres Kleidungsstils zu besonderen Stationen im Leben dieser Frauen. Wobei die jeweilige Garderobe, ob gewagt, auffallend oder skandalös, ihre Kreativität ebenso wie ihre Unabhängigkeit von gesellschaftlich verordneten Restriktionen Frauen gegenüber spiegelt. Was Bananenröckchen, Perlenketten, Hutvariationen oder Hosen für eine Wirkungskraft entfalten konnten und oft in das kollektive künstlerische Gedächtnis eingeschrieben wurden, ist erstaunlich.
Ursel Braun gelingt es auf markante Weise das Außergewöhnliche im modischen Dasein der betrachteten Künstlerinnen in Beziehung zur Außenwelt zu setzen. Sie verbindet in ihrer Darstellung gründliche Recherche mit einem kurzweiligen Schreibstil, der er nicht erlaubt, den Band aus der Hand zu legen. Der Autorin gelingt es, eine kulturhistorische Perspektive einzunehmen, die das individuelle Begehren und das Aufbegehren gegen Konventionen erfasst und vor dem Hintergrund des gesellschaftlich-sozialen Wandels der Moderne skizziert. Denn heute ist es kaum vorstellbar, welche Aussagekraft Kleidungsstücke in dieser Epoche entfalten konnten.
Die Porträts berühren in zahlreichen Einzelheiten und lassen die Künstlerinnen in ihrer Erscheinung wirken, wie sie inspiriert von ihrer Kreativität und ihrem Selbstbewusstsein manches über die Zeitläufte hinweg transportierte Image lebendig werden lassen. Das Buch vermittelt, wie eng das Selbst-sein als Individuum mit den Stoffen der Kleidung verknüpft ist – im wahrsten Sinne des Wortes. Ein wunderbares Buch, das Lust macht, Kreativität zu leben!
Ursel Braun
Unangepasst
Künstlerinnen und ihre Kleider
144 Seiten
ISBN: 978-3-86915-277-6
Verlag Ebersbach & Simon