Kunstwerke sind etwas Einzigartiges. Sie erzählen von Menschen vor unserer Zeit, ihren Wünschen, Hoffnungen und Ängsten, aber auch von Technik, Handwerk und Handel. Bevor die Kunst zur Kunst wurde, war sie Ausdruck des Sakralen, der Macht und der Herrschaft. Manches von dem, was wir sehen, können wir nicht in der Art und Weise verstehen, wie es die Auftraggeber, Schöpfer und Betrachter in ihrer Epoche fertiggebrachten. Auf dem langen Weg der Überlieferung durch die Zeitläufte hindurch ist manches verloren gegangen. Wie spannend ist es dennoch, im Museum Kunstwerke verschiedener Epochen gegenüberzustellen und zu vergleichen. Erst in diesem Vergleich wird manches der Inhalte erkennbar.
Um die Botschaft von Deckenmalereien zu erfassen, ist es nicht möglich, sie nebeneinander zu präsentieren. Das macht es umso schwieriger, zugleich auch reizvoller sich mit ihrer Schönheit, Kunstfertigkeit und Aussagekraft zu beschäftigen. Schließlich stellt die Deckenmalerei eine eigene Kunstform dar, die insbesondere in Renaissance und Barock der Inszenierung von Räumen im Dienst von Schönheit und Macht, Glanz und Kostbarkeit verlieh. Bereits früher angewandt, entfaltete sie nun durch die neuen künstlerischen Techniken und Konzepte der perspektivischen Raumgestaltung sowie der illusionistischen Darbietungen ihre beeindruckende Wirkung. Bis heute sind derartig inszenierte Räume von Kirchen, Burgen, Schlössern, Palazzi das Ziel vieler Interessierter, die voller Neugier und Schaulust die zuweilen rätselhaften Bilderwelten erkunden.
Antike Gottheiten, mythologische Heldinnen und Helden, Fabelwesen und Blütengirlanden tummeln sich über den Köpfen der Betrachter und erzählen von Gut und Böse, von Tugend und Laster. Wer erdachte diese Bildprogramme? Wer verstand ihre Botschaften? Für wen waren diese bestimmt?
Die wissenschaftliche Forschung beschäftigt sich seit Längerem mit dieser Kunstform. Es gibt in Europa eine Reihe von Forschungsprojekten, die kunsthistorische Grundlagenforschung betreiben, um diese Kunstform der aufwendig inszenierten Räumlichkeiten zu erfassen, zu analysieren und in den Kontext der Zeit einzuordnen. Auf einer ersten internationalen Tagung unter dem Titel: „Eine gemeinsame europäische Sprache? Deckenmalerei und Raumkünste an den europäischen Höfen um 1700 – Connecting across Europe? Celling Painting and Interior Design in the Courts of Europe around 1700“ fanden sich im September 2018 im Galeriegebäude des Großen Gartens von Hannover-Herrenhausen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein, um ihre bisherigen Erkenntnisse zu präsentieren und zu diskutieren. Um das Phänomen der barocken Deckenmalerei fachkundig zu erörtern, fand man mit dem gewählten Tagungsort ein hervorragendes Beispiel, denn das Galeriegebäude von 1694/98 ist mit farbenfrohen Malereien von Tommaso Giusti geschmückt.
Inzwischen liegt im Verlag HIRMER der in Deutsch und Englisch angefasste Tagungsband mit dem Titel: „DECKENMALEREI UM 1700 IN EUROPA. Höfe und Residenzen“ vor. Auf 376 Seiten mit insgesamt 299 farbigen Abbildungen entfaltet sich das Panorama barocker Schönheit und Weltdeutung wie es bisher in dieser Form nicht zu sehen und zu entdecken war. International führende Fachleute haben die Deckenmalerei um 1700, die im Kontext höfischer Kultur als ein wichtiges Medium anzusehen ist, vor dem zu dieser Zeit standfindenden politischen, sozialen und kulturellen Wandel betrachtet. Ihr Erkenntnisinteresse war geprägt von Fragen wie: Verfügte die Deckenmalerei über eine gemeinsame Sprache? Waren die angewandten künstlerischen und inhaltlichen Strategien vergleichbar und gegenseitig verständlich?
Die Autorinnen und Autoren des Bandes beantworten diese Fragen in detaillierter Betrachtung der Untersuchungsobjekte, wobei die Leserschaft auf eine kundige Reise über den europäischen Kontinent mitgenommen wird. Von Italien, das als Quelle der Inspiration gilt, führt diese kulturhistorische Tour an die großen und kleineren Residenzhöfe Europas: etwa nach Spanien, Österreich, Frankreich, Deutschland, Polen, Dänemark oder Tschechien. Waren es insbesondere mythologische und allegorische Götterwelten, die quer über den Kontinent hinweg fürstliche Identität spiegelten, so erweist es sich im kritischen Blick aufs Detail, dass trotz mancher Übereinstimmungen, mache Höfe sich weigerten, „die Sprache der Deckenmalerei“ (S. 13) zu sprechen während andere „verschiedene Dialekte“ (S. 13) verwendeten.
Im Medium der Decken- und Wandmalerei lassen sich demnach die jeweiligen politischen Ausrichtungen der Landesherren und künstlerisch wie inhaltlich differierende Darstellungen erkennen, was es in der Erforschung dieser Kunstform umso notwendiger macht, in der Zusammenarbeit und im Vergleich die Besonderheiten dieser Kunstform verständlich und lesbar zu machen. Das ist hier in hervorragender Weise gelungen. Dieser Band ist zweifellos ein ausgezeichnetes Werk der wissenschaftlichen Forschung, das durch den Gesamtzusammenhang die einzelnen Kunstwerke lesbar und deutbar macht. Zugleich bietet er für all die Kunstinteressierten, die sich an der Schönheit der Objekte erfreuen und auf der Suche nach Wissen sind, ein Werk, dessen internationale Autorinnen und Autoren auf neustem Forschungsstand in verständlicher Form barocke Weltvorstellungen interpretieren. Die Verständlichkeit beruht zu gewissen Teilen zweifellos auf der umfangreichen und höchst qualitätvollen Illustration des Bandes. Zugegebener Massen ist es ein gewichtiges Buch, doch mit diesem Werk im Gepäck ließe es sich auf eine kulturhistorische Reise durch Europas Residenzen aufbrechen, um wie ein reisender Kavalier um 1700 die Bühnen der Macht und Magnifizenz zu würdigen.
Deckenmalerei um 1700 in Europa
Höfe und Residenzen
Hg. Stephan Hoppe, Herbert Karner, Heiko Laß
Beiträge von A. Dencher, D. Gerstl, L. Hamlett, M. van Eikema Hommes, M. Frank, S. Fuentes Lazaro, M. Mádl, H. Karner, A. Kozieł, H. Laß, T. Lyngby, M. Olin, K. Pyzel, S. Roettgen, J. Schwabe, U. Seeger, C. Strunck, W. Telesko, E. Wünsche-Werdehausen, T. Wilke
376 Seiten, 299 Abbildungen in Farbe
Verlag HIRMER
ISBN: 978-3-7774-3638-8