In der Insel-Bücherei erschien in diesem Frühjahr unter der Nummer 1499 ein kleiner, feiner Band, der einem Gartenreich huldigt, das bis in unsere Tage die Idee der Aufklärung bewahrt hat. Kia Vahland unternimmt auf kurzweiligen 85 Seiten ins „Gartenreich Wörlitz“ einen „Ausflug in eine Utopie“, indem sie sich zunächst eine „Auszeit im Anderwo“ gönnt und diesen „Garten der Vernunft und Lust“ im Kontext seiner Zeit verortet. Unterhaltsam und gelehrt spaziert sie anschließend durch den Wörlitzer Park und lässt vor dem inneren Auge der Leserschaft eine Epoche zwischen Aufklärung und Empfindsamkeit erstehen.
Das Gartenreich Dessau-Wörlitz ist der verwirklichte Traum des Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, genannt Franz. Der Fürst galt als geistreich, weltgewandt, verantwortungsbewusst und war dem großen Experiment seiner Zeit, der Aufklärung, tatkräftig zugewandt. Der Dichter Christoph Martin Wieland lobte ihn als „Zierde und Inbegriff des XVIII. Jahrhunderts“. Goethe schätzte den Fürsten seiner umfangreichen aufklärerischen Reformprojekte wegen und erachtete dessen „wohladministrierten und zugleich äußerlich geschmückten“ Kleinstaat als vorbildhaft für andere Herrscher seiner Zeit. Fürst Franz verwandelte in seiner Regierungszeit das rund 700 Quadratkilometer umfassende und von etwa 35 000 Menschen bewohnte Fürstentum in ein Musterländchen. Das Schöne und das Nützliche nach dem Horaz’schen Satz vereinend, lebte und wirkte er und strebte danach, ein Modell vernünftiger Herrschaft zu erschaffen. Orientierung boten ihm die Ideen aus der Antike sowie der Wissenschaft seines Zeitalters, versinnbildlicht in einer Gartenlandschaft, die arkadische Schönheit und englische Natürlichkeit vereint.
Kia Vahland betont „Dieser Park schmückt auch das 21. Jahrhundert.“ – und wandelt entlang der Wege, würdigt die Gartenarchitekturen und folgt den Stimmungen, die die Atmosphäre einstiger Geisteshaltungen gestalten wollte. Mit Neugier und Interesse folgt man ihren Schritten und erfährt so manches, das das Gewagte, aber auch die Widersprüche des Unternehmens beleuchtet. Nun, Garten und Architektur ließen sich planen und gestalten, Gedanken und Gefühle der Protagonisten waren nicht im selben Maße formbar. Manchem aufmerksamen Zeitgenossen fiel das auf. In einem Brief an Elisa von der Recke reflektiert der Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim darüber, dass „wir alle zu Wörlitz in Arkadien“ seien, wenn alles nach Wunsch verliefe. „Die Fürstin wäre die Göttin im Tempel der Freundschaft, der Fürst Apollo bey den Hirten, auf der Erde bey den Hirten gefiels ihm besser als bey den Göttern im Olymp!“, heißt es weiter. Sie alle wären dann anders, meint er und fragt vielsagend, ob sie dann auch etwas glücklicher wären.
Erhalten geblieben ist ein traumhafter, verspielter, visionärer Garten, wie Kia Vahland resümiert und wie auf einladende Weise durch die wohl ausgewählten Abbildungen des Gartens (samt Karte zur Orientierung) wie der dargestellten Persönlichkeiten präsentiert wird. Wer das Gartenreich noch nicht kennt, dem ist dieser Band ein informativer Begleiter, der in jede kleine Tasche passt. Wer bereits einmal im Gartenreich weilt, wird manch Interessantes entdecken. Zur Lektüre empfiehlt sich ein lauer Abend auf einer Bank mit Blick auf den Wörlitzer See, ganz im Geiste Goethes, der einst schwärmte: „Hier ists jetzt unendlich schön“.
Kia Vahland
Gartenreich Wörlitz
Ausflug in eine Utopie
85 Seiten
978-3-458-19499-6
Insel-Bücherei 1499