
Was es bedeutet, wenn ein Mensch voller Mut und Fantasie einen Traum lebt, zeigt dieses Buch auf anschauliche Weise. Es ist in der Tat kein Gartenratgeber-Buch, aber es ist angefüllt mit so vielen praktischen Hinweisen und Erklärungen über den liebevollen und ehrfürchtigen Umgang mit der Natur, dass es durchaus in ganz praktischer Art zur Gartenarbeit inspiriert. Schließlich beschreibt die Autorin nicht allein wie die beiden Gärtnerinnen bei der Anlage ihres Gartens rund um ihr kleines Cottage vorgegangen sind, sondern sie scheut sich keineswegs über Fehler und Fehlschläge beim Pflanzen und Gestalten Auskunft zu geben.
Bei der Anlage des Gartens haben seine Schöpferinnen sich von der traditionellen Gestaltungskonzeption britischer Cottage-Gärten anregen lassen. Ihr Blick in die Vergangenheit war dabei immer von Vorbildern der Gartenkunst wie Gertrude Jekyll, Norah Lindsay und Margery Fish geprägt. Ganz im Geiste von Gertrude Jekyll und entsprechend der Ideen von William Robinson, der einem idealen Eigentümer empfahl, sich mit den Boden- und Standortverhältnissen vertraut zu machen, begannen sie ihr Werk. Auch die beiden Gärtnerinnen ließen sich von ihrer Umgebung zu diversen gestalterischen Handlungen anregen, um das Bild eines ästhetisch äußerst ansprechenden Fleckchen Erdes zu kreieren. Denn wie schreibt Gertrude Jekyll, es seien jene „kleinen Cottage-Gärten, die dazu beitragen, dass unsere englischen Wegesränder die schönsten der gemäßigten Welt sind“.
Gertrude Jekyll, die Grande Dame der Gartenkunst, wurde mit ihrem Anwesen Munstead Wood zum Inbegriff eines Gartens im Sinne der Arts-and-Crafts-Bewegung um 1900. Deren Anhänger favorisierten das Ideal der einstigen bescheidenen Hausgärten mit ihren altmodischen Pflanzen, wie Mohnblumen, Stockrosen, Fingerhut, Malven, Gänseblümchen, Lavendel, Rosen, Lupinen, Sonnenblumen, Maiglöckchen, Phlox, Nelken oder Rittersporn. Viele dieser Pflanzen inspirierten den vielseitig begabten William Morrison, einen bedeutenden Vertreter der Arts-and-Crafts-Bewegung, zum Design für Textilien und Wanddekorationen aus edlen Materialien. Seine zauberhaften Motive brachten die Natur in die Häuser und verliehen dem britischen Innendekor einen unnachahmlichen Stil, der bis heute wirkungsvoll das Design beeinflusst und so manchen England-Fan in der Dekoration der Wohnräume inspiriert.
Um 1900 erfreuten sich Gemälde und Grafiken in illustrierten Journalen und Büchern großer Beliebtheit, sodass sich eine gewisse romantisch-nostalgische Sehnsucht nach malerischen Cottages mit rosenumwachsenen Hauseingängen und von Stockrosen gesäumten Wegen entwickelte und bis heute ihre Anhänger findet. Bemerkenswert ist, dass Zeitgenossen im späten 19. Jahrhundert auf dergleichen rustikale Wohnstätten wenige Jahrzehnte zuvor noch mit Skepsis als Horte von Unordnung und mangelnder Hygiene geblickt hatten. Geändert hatte sich diese Deutung, nachdem im Kontrast zu den stetig wachsenden Städten mit Lärm, Verkehr, Schmutz und Elendsquartieren Häuser in den verschlafenen Dörfern zu begehrten Objekten für den Wochenendaufenthalt auf dem Lande avancierten.
Für mittellose Dorfbewohner und Tagelöhner war der Anbau von Essbarem im Garten überlebenswichtig gewesen. Für die wohlhabende Mittelklasse, die es sich leisten konnte, auf dem Lande unweit von London zu bauen, wandelte sich der Garten zu einem Prestigeobjekt und zu einer Erweiterung des Hausinneren. Diese Gärten boten die Möglichkeit Reichtum und Kunstgeschmack in der Mode der Zeit zu präsentieren. Während Arme sich selbst um den Garten kümmerten, beschäftigten Wohlhabende eine Vielzahl an Gärtnern, Untergärtnern und Hilfsarbeitern.
Mit den Ereignissen der Zeit wandelten sich Geschmack und Möglichkeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es nach Ansicht vieler Gartenbegeisterter Margery Fish vorbehalten, Gertrude Jekylls Erbe anzutreten und neu zu interpretieren. Ihr Cottage-Garten von East Lambrook Manor in der Grafschaft Somerset wird bis heute im Geiste seiner Schöpferin gepflegt.
Auch Isabelle Van Groeningen hat ihren Traum von Cottage-Garten wahr werden lassen und lässt die interessierte Leserschaft daran teilhaben. Wobei ihre Erfahrungen und Erinnerungen so lebendig erzählt werden und zugleich durch Fotografien und Skizzen (und einen ganz wundervollen und detailreichen Plan des Gartens) illustriert werden. So kann es nach der Lektüre nur bedeuten: Raus in die Natur! Raus in den Garten! Dieses Buch vermittelt, was ein Garten alles sein kann, nämlich nicht allein ein Ort des Rückzugs oder der Kreativität – wobei nichts davon erreicht werden könnte ohne sorgfältige und regelmäßige Arbeit –, sondern ein Ort, der uns mit der Natur verbinden kann.
Isabelle Van Groeningen
Mein wunderbarer Cottage-Garten
Glück im Einklang mit der Natur
252 Seiten
ISBN 978-3-458-64480-4
Verlag Insel