Der vielseitig begabte Künstler und Unternehmer William Morris, einer der führenden Vertreter der Arts-and-Crafts-Bewegung am Beginn der Moderne, meinte einst: „Wenn man mich fragte, was ist die wichtigste Aufgabe der Kunst und das, wonach man sich am meisten sehnt, würde ich antworten: Ein schönes Haus.“
Es ist anzunehmen, dass viele Menschen diese Einstellung teilen. Trotzdem werden täglich alte Häuser abgerissen, müssen Neubauten oder Straßenerweiterungen weichen. Mit einem alten Haus verschwindet an vielen Orten auch Wissen über alte Bautechniken, Verwendung von Materialien und nicht selten etwas von in Stein und Holz erzähltem Leben vergangener Generationen. Schließlich bewahren Häuser ein Stück Leben seiner Bewohner oft über lange Zeitperioden hinweg.
Zweifellos sind es meist ökonomische Gründe, die zum Abriss alter Häuser führen. Dass der Zeitgeist Modernität in Form von unterscheidungslosen Bauten nach wie vor favorisiert, ist nicht zu leugnen. Sich dem zu entziehen, sich in ästhetischer wie ökonomischen Form Wagnissen auszusetzen, erfordert Mut, Enthusiasmus und nicht zuletzt gute Nerven. Zum Glück gab und gibt es immer wieder Menschen, die sich mit Fantasie und Liebe zum Detail in solche Projekte stürzen. Dass das Leben in alten Häusern dabei alles anderes als unmodern oder unbequem sei, lässt sich belegen.
Der Bild-Textband „Neues Leben für alte Häuser“ darf als Motivationshilfe angesehen werden, um ein solches Abenteuer einzugehen – und dabei für sich selbst und andere etwas zu schaffen, was William Morris als „wichtigste Aufgabe der Kunst“ bezeichnet hatte. Der Band dokumentiert, wie Tatjana Suiter und Klaus Röder vier alte Häuser im Allgäu, in Tirol und in Südtirol gerettet und zugleich für modernes Leben nutzbar gemacht haben. Dabei haben der Filmemacher und seine Lebensgefährtin u.a. mit Unterstützung von befreundeten Handwerkern nicht allein für sich selbst und andere Menschen, an die sie Häuser vermieten, Lebensorte geschaffen, sondern auch für all jene, die im jeweiligen Ort wohnen oder ihn besuchen. Denn, so die Architektin Annemarie Bosch, Mitglied im Bund deutscher Architektinnen und Architekten in Bayern (BDA): „Alter Bestand erzählt immer Geschichte, historischer Bestand ist Identität.“
Das Buch ist in der Tat weit mehr, als die Darstellung der arbeitsreichen Verwandlung oder Rettung eines alten Hauses. Tatjana Suiter und Klaus Röder berichten von dem Prozess der Wahrnehmung eines über Generationen von Menschen erlebten und gestalteten Ortes, der ihnen ein zu Hause war. Dieser Ort ist in seine Umgebung eingewachsen, wobei er vielfach durch Baumaterialien aus der Umgebung selbst geschaffen worden war. Bestimmend waren dabei ebensolche ökonomischen wie ästhetischen Formen wie sie das heutige Leben bestimmen. Warum sollten nun also nicht nach den Bedürfnissen unserer Zeit, Räume vergrößert oder verbunden werden. Behutsam und fantasievoll zu sein, schließt sich hierbei nicht aus. Was etwa den „Zutritt nur für Sünder“ (S. 116) ebenso miteinschließt, wie den Wunsch, in einem Haus mit Geschichte zu leben. Diese Entscheidung schreibt die Geschichte des Hauses weiter – und somit erzählt das Buch zugleich die Geschichte jetzt lebender Menschen. Ihre Träume und ihre Entscheidungen sind es, die hier mindestens genauso spannend zu lesen sind, wie die Darstellung der Sanierung und Umgestaltung.
Kreativität und ein wenig handwerkliches Geschick braucht es jedoch, um sich einen solchen Lebenstraum zu erfüllen, aber dann: „Nur Mut“. Ganz in diesem Sinne ist der Band also „keine technische Anleitung“, sondern eine „Liebeserklärung“, wie es bereits im Vorwort heißt. Indem in der Darstellung keine Hochglanztraumwelten, sondern reale Erfahrungsberichte der Arbeitsprozesse und des Ringens um Lösungen für DIN-lose Baunormen vorindustrieller Zeit geschildert werden, zeigt es, was möglich ist, wenn sich Menschen für das Leben in einem Haus voller Lebensgeschichte entscheiden. Hilfreich ist es in diesem Zusammenhang, dass in ergänzender Weise praktische Tipps präsentiert werden. Was hier nicht vermittelt werden kann, ist der Mut, den man selbst in sich tragen muss, um zu beginnen; an alten Häusern mangelt es jedenfalls nicht.
Neues Leben für alte Häuser
Heike Papenfuss
Hg. Tatjana Suiter
Fotograf Klaus Röder, Dominik Somweber
160 Seiten, 129 Abbildungen in Farbe
Hirmer Verlag
ISBN: 978-3-7774-4314-0