2020 hat sich der Todestag von Raffael zum 500. Mal gejährt. Aus diesem Anlass widmet sich im Winter 2020/21 eine Ausstellung in der Gemäldegalerie Alte Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden Raffael als Madonnenmaler. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht selbstverständlich das Dresdner Altarbild der Sixtinischen Madonna. Die Ausstellung und der parallel dazu erschienene 152 Seiten umfassende Katalog konzentrieren sich somit auf jenes Genre, das Raffael bekannt und berühmt gemacht hat.
Jahrhunderte lang war Maria den Menschen eine Fürsprecherin und Mittlerin zu Gott. Die Menschen beteten zur Heiligen Jungfrau, liebten und bewunderten sie. Maria wurde als die Mutter aller verehrt, und ein Großteil der Kirchen wurden ihr geweiht. Allein die Vielzahl der bis heute gebräuchliche Begriffe zeigt, welche Bedeutung sie als Heilige besaß: Gottesmutter, Himmelskönigin, Gnadenmutter, Madonna oder Schmerzensmutter.
Diese tiefe Marienfrömmigkeit haben zahlreiche Kunstwerke bewahrt, denn die Darstellungen von Maria zählten zu den beliebtesten Themen der mittelalterlichen Kunst. Nach wissenschaftlicher Einschätzung sollen um 1500 rund 85 % der gesamten künstlerischen Produktion in Italien gemalte oder plastische Darstellungen der Madonna mit Kind umfasst haben (S. 6). Mit allen Sorgen und Ängsten konnte sich jeder einzelne an Maria wenden. Frauen und Männer nahm sie unter den Schutz ihres Mantels. Sie bot Zuflucht bei Gefahr, Krankheit und Tod.
Das Bedürfnis nach Madonnenbildnissen war groß und so verwundert es nicht, dass sich alle großen Künstler der Zeit mit diesem Thema beschäftigt haben. Dabei war es besonders das Geheimnis der Menschwerdung des Gottessohnes, das die Gläubigen bewegte und somit für die Künstler die Herausforderung bestand, die körperliche Präsenz des Gottessohnes verständlich zu gestalten. Das Studium der menschlichen Anatomie und das Erfassen des kindlichen Wesens waren wesentliche Aspekte, die die künstlerische Auseinandersetzung prägten.
Raffael nahm sich reale Kinder in seiner Darstellung zum Vorbild und so gelang ihm als erstem, sie anschaulich in ihrer Kindlichkeit zu zeigen. Um Raffaels Ausnahmetalent und insbesondere die Sixtinische Madonna in ihrer Einzigartigkeit zu präsentieren, sie in den Kontext der Zeit, aber auch in die Räumlichkeit für die sie geschaffen wurde, zu verorten, beleuchten und diskutieren internationale Fachleute einzelne Aspekte. Denn auch wenn die Sixtinische Madonna 1512/13 gemalt, nach Dresden gelangte und ab 1754 zur Hauptattraktion der Dresdener Sammlung avancierte, war sie für den Hochaltar einer italienischen Kirche erschaffen worden. Indem im Rahmen der Dresdener Ausstellung dieser Blickwinkel durch die Gegenüberstellung zu einer angedeuteten Chorschranke mit Kruzifix berücksichtigt wird, können Besucher dieses so bedeutende wie berühmte Altarbild in seiner theologischen Vielschichtigkeit kennen lernen.
Die Beiträge des Katalogs mit den enthaltenen reichhaltigen farbigen Abbildungen beeindrucken durch die erkenntnisreichen Analysen und eröffnen einen vielfach erweiterten Zugang durch den Vergleich mit anderen großen Meistern der Epoche, wie Botticelli oder Mantegna, ebenso wie weiteren Werken Raffaels und der Entwicklung des Bildthemas in der italienischen Malerei des 15. Jahrhunderts. Es ist in der Tat gelungen, dieses Meisterwerk tiefer verständlich zu machen, seine Aussage zu erforschen und damit etwas von der Vision, die Raffael den Gläubigen seiner Zeit vor Augen führte, in unsere Zeit zu transportieren.
Es ist diese „erstaunliche theologische Komplexität“, die das berühmte Kunstwerk hier für Kunstinteressierte auf spannende Weise darstellt, anhand der neueren Forschung diskutiert und zugleich die Bedeutung der Kunst bevor sie zur Kunst wurde, thematisiert. Lesend und betrachtend kann man das Kunstwerk neu kennen lernen. Kein anderes Bildthema wurde in der italienischen Kunst der Renaissance so oft dargestellt wie die Madonna mit Kind. Raffaels Bilder zählen noch heute – 500 Jahre nach seinem Tod – zu den innovativsten Kompositionen. Ihre bahnbrechende Bedeutung wird in diesem Band durch Vergleiche mit anderen Hauptwerken der Zeit, u.a. von Botticelli und Mantegna, erhellt.
RAFFAEL UND DIE MADONNA
Hg. Stephan Koja
Beiträge von S. Girometti, A. Henning, S. Koja, E.-B. Krems, V. Perlhefter, P. Stephan
152 Seiten, 99 Abbildungen in Farbe
Verlag HIRMER
ISBN: 978-3-7774-3617-3
Dresden | Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden 04.12.2020 – 09.05.2021 mit derzeit virtueller Ausstellung