Wessen Fantasie geht nicht auf Reisen, wenn von Frauen und ihren Gärten die Rede ist. Man denkt an die hängenden Gärten der sagenhaften Königin Semiramis und stellt sich vor, wie Hildegard von Bingen hinter Klostermauern Heilkräuter pflanzt, um daraus Medizin zu gewinnen. Rosendüfte erinnern manchen an die französische Kaiserin Joséphine, die ihre Leidenschaft für Rosen legendär werden ließ– und sie fast ruinierte. Unvergessen sind zweifellos jene britischen Lady Gardeners, die in Anzug, Knickerbockern und Mütze Gartenträume lebten und ihr Wissen in Gartenfachschulen weitergaben. Wie lehrreich und amüsant lesen sich bis heute die Gartenkolumnen von Vita Sackville-West aus der Mitte des 20. Jahrhunderts und wie zeitlos schmücken die Kompositionen aus Wollziest und Lavendel, Scheinsalbei und Katzenminze den Garten, die die berühmte Gärtnerin Gertrude Jekyll um 1900 kreierte.
Garten und Gärtnerin sind nicht voneinander zu trennen. Manchmal ist die Gärtnerin sogar interessanter als der Garten. Zumal wenn dieser längst verschwunden ist. Ein Garten ist seit jeher viel mehr als ein Landschaftsraum mit Pflanzen und Wegen, Brunnen und Hecken. Der Zauber eines Gartens liegt in seiner Stimmung, dem, was zwischen blühenden Rosen und plätscherndem Wasser in der Luft liegt.
Wer Gärten liebt, wird früher oder später vom Sissinghurst Castle Garden in Kent hören, der als Englands schönster romantischer Landhausgarten gilt. Die gartenbegeisterte Schriftstellerin Vita Sackville-West hat ihn zusammen mit ihrem Mann, Harold Nicolson, erdacht und erschaffen, und der Garten hatte das Glück, bewahrt und gepflegt zu werden. Inzwischen ist er weltberühmt und begeistert jährlich Tausende von Besuchern. Viele durchstreifen die abwechslungsreichen Gartenzimmer, lassen sich inspirieren und erfreuen sich an Alten Rosen, der Purpurnen Rabatte oder dem berühmten Weißen Garten.
Im Frühjahr 1942 sinnierte Vita Sackville-West darüber, ob in fünfzig Jahren überhaupt jemand ihren geliebten Garten bewundern würde. Schließlich könnten sich gerade dann, ihre Enkelkinder an den schönen, großen, blühenden Bäumen erfreuen. Energisch verwarf die Schriftstellerin jedoch allein den Gedanken „diesen schrecklichen Garten“, wie sie ihren Lebenstraum liebevoll nannte, dem National Trust anzuvertrauen, obwohl sie diese Organisation doch unterstützte und ein Gründungsmitglied des Gartenkomitees des National Trust war. Als sie 1962 verstarb, vererbte Vita Sackville-West Sissinghurst an ihren Sohn Nigel. Der National Trust wacht durch die kluge Entscheidung ihres Sohnes nun schon über ein halbes Jahrhundert über den Garten.
Längst ist der Garten jedoch ein anderer als zu Zeiten seiner Schöpfer. Mit ihnen war ihr Garten gealtert, manche Hecke zu hoch, zu breit und der Boden stellenweise ausgelaugt. Unter Graham Stuart Thomas, dem Gartenberater des National Trust, begannen behutsame Korrekturen, wie Heckenrückschnitte und Neuanpflanzungen. Als die beiden noch von Vita Sackville-West 1959 eingestellten Gartenmeisterinnen Pam Schwerdt und Sibylle Kreutzberger in den 1980er Jahren den Pflanzenbestand katalogisierten und verglichen, ließen sich die Veränderungen gut nachvollziehen. Zahlreiche Sträucher und Mauerpflanzen wuchsen noch dort, wo sie zu Lebzeiten von Vita Sackville-West gestanden hatten. Doch von den Pflanzen, die sich zu dieser Zeit im Garten befanden, wuchs 1959 noch kein Drittel in Sissighurst. Dafür verlängerte sich die Blütezeit der meisten Gartenräume vom Frühjahr bis in den Herbst hinein, was durch länger blühende Sorten und Stauden möglich wurde. Durch neue Züchtungen, Unwetter, Umgestaltungen, Anpassungen an das große Besucheraufkommen veränderte sich der Garten. Zugleich blieb der Rahmen des Gartenkunstwerks vorhanden, wurde sorgfältig und liebevoll gepflegt und geschützt. Ob die einstigen Schöpfer ihr Werk heute wiedererkennen würden?
Tim Richardson, Großbritanniens führender Gartenkritiker, Historiker und Autor, Begründer und Leiter des Chelsea Fringe Festival und Mitglied im Garten-Beirat des National Trust, stellt in dem kürzlich erschienen Buch „Sissinghurst. Der Traumgarten“ diesen fantastischen Garten vor. Mit großer Leidenschaft und Kenntnis beschreibt er seine Entstehung im Gleichklang mit der Lebensgeschichte seiner beiden Schöpfer und folgt seiner Entwicklung vor dem Hintergrund wechselnder Gartenmoden wie sprunghaft steigender Besucherströme. Wobei Jason Ingram, renommierter Fotograf und mehrfach ausgezeichneter Gartenfotograf, Sissunghursts einzigartig schön wie raffiniert gestaltete Gartenzimmer stimmungsvoll in Szene setzt.
Der Autor erweist sich als ein ebenso kluger wie empfindsamer Beobachter des Gartens, der seinen Schöpfern und ihren beiden Söhnen Lebensort und kreativer Mittelpunkt ihres gemeinsamen Lebens war. Doch dieser Garten – wie es stets der Fall ist – hat in den letzten Jahrzehnten längst ein Eigenleben entfaltet. Schließlich entziehen sich Gartenkunstwerke immer der Kontrolle ihres Schöpfers. Mit dem Tod von Vita Sackville-West und ihrem Mann Harold Nicolson begann ein neues Gartenleben, das umfangreiche Veränderungen mit sich brachte, die das Gartenkunstwerk verwandelten. Die liebenswerte Freiheit, die Zweige, Äste und Kronen genossen, und die womöglich unperfekte Art der Gestaltung galt in den Augen manch später Geborener längst als Makel, der einer behutsamen Korrektur bedurfte. Vor einiger Zeit sind sich die gärtnernden Enthusiasten und Sissinghurst-Fans dieser Veränderungen bewusst geworden, sodass es umso spannender erscheint, heute wieder einen Blick auf diesen Gartentraum zu werfen. Die Leserschafts mag überrascht sein, wie lebendig und farbenfroh dieser neue Blick auf Sissinghurst in Wort und Bild zu fesseln vermag.
An der Seite des Autors lässt es sich auf charmante, unterhaltsame und oft witzige Art durch die Gartenzimmer spazieren, wobei er historische Planungen und biografische Erlebnisse auf gekonnt lebendige Art verknüpft. Seine Leidenschaft der Betrachtung ist so ansteckend, dass unvermeidlich der Gedanke zur Planung einer Gartenreise entsteht. Was für ein Sehnsuchtsort, der da auf einen wartet!
Tim Richardson, Jason Ingram
Sissinghurst. Der Traumgarten
- übersetzt von Anke Albrecht
- durchgehend farbig
- 224 Seiten
- Hardcover
- 1. Auflage
- ISBN 978-3-8369-2178-7
Gerstenberg Verlag